Seminarzentrum für Tiergesundheit in Ostwestfalen-Lippe





Hal Herzog, “Wir streicheln und wir essen sie”

Unser paradoxes Verhältnis zu Tieren

Autor: Ricarda Dill | Datum: 09.03.2012

„Die natürlichste menschliche Interaktion mit Tieren ist der Wunsch sie zu essen“. Wieso also kommen Menschen auf die Idee, ihr Heim mit essbaren Tieren zu teilen? Diese und ähnliche Fragen beschäftigen einen relativ jungen Wissenschaftszweig, der sich „Anthrozoologie“ nennt, gelegentlich findet man auch den Begriff „Human-Animal Studies“. Die Anthrozoologie widmet sich allen Fragen der Mensch-Tier-Beziehung. Sie ist interdisziplinär und bietet Philosophen, Psychologen, Zoologen, Medizinern und Juristen ein spannendes Betätigungsfeld. Hal Herzog ist Professor für Psychologie an der Western Carolina University. Mit seinem Buch „Wir streicheln und wir essen sie – unser paradoxes Verhältnis zu Tieren“ (Hanser Verlag, 2012, 315 S., ISBN: 978-3-446-42922-2 , 19,90 €), gibt er einen leidenschaftlichen und sehr gut verständlichen Überblick über den aktuellen Forschungsstand der Anthrozoologie. Es handelt sich um die deutsche Übersetzung seines bereits 2010 in den USA erschienenen Buches „Some we love, some we hate, some we eat.“  

Warum halten Menschen Tiere?

Der Mensch ist das einzige Tier, das längere Zeit nur zu seinem Vergnügen Mitglieder anderer Gattungen hält. Welchen evolutionären Nutzen hat der Mensch davon? Die Antwort ist derzeit nicht bekannt, es gibt mehrere Hypothesen dazu, z.B. dass Kinder, die in Familien mit Haustieren aufwachsen, später verantwortungsbewusstere Menschen werden, die wiederum eine höhere Wahrscheinlichkeit haben, viele Nachkommen zu zeugen. Meine Lieblingshypothese ist die, dass der evolutionäre Nutzen für die Haustiere möglicherweise größer ist als für den Menschen, was Katzen und Hunde zu einer höheren Form von Parasiten machen würde (ahnen wir es nicht jedes Mal, wenn wir eine Dose Futter öffnen?).  

Viele Fragen, viele Widersprüche

Wem hilft die Delfintherapie? Unterscheiden sich Hunde- und Katzenbesitzer in ihren Persönlichkeitsmerkmalen? Gibt es einen Zusammenhang zwischen Tierquälerei durch Heranwachsende und späterer Kriminalität? Unterscheiden sich Männer und Frauen im Hinblick auf ihre Einstellungen zu Tierschutz, Tierquälerei und Fleischkonsum? Wie werden Hunderassen zu Moderassen? Warum finden Menschen Hahnenkämpfe abartig und haben gleichzeitig kein Problem damit, genussvoll die Chickenwings gequälter Masthähnchen zu verzehren? Warum halten wir das Sterben von Millionen von Versuchsmäusen für vertretbar und begraben die Haustiermaus unter Tränen im Garten? Was unterscheidet die Mausefalle in der Speisekammer von der Tötung im Tierversuch? Warum schaffen es junge Robben regelmäßig in die Hitliste schützenswerter Tiere, während dies dem chinesischen Riesensalamander versagt bleibt? Welche Motive bewegen Menschen, fleischlos zu leben? Welche lassen sie zu Ex-Vegetariern werden?  

Der Mensch ist ein Lebewesen mit komplexen Verhaltensweisen

Herzogs Buch ist ein modernes Wissenschaftsbuch. Es präsentiert viele Fragen und mögliche Antworten. Manche Argumentationsketten schwächeln oder sind verkürzt, dafür entschädigt ein umfangreicher Anmerkungsapparat mit vielen Hinweisen zum Weiterlesen. Auf Absolutheitsansprüche und moralische Vorgaben verzichtet Herzog größtenteils, was engagierte Tierschützer bedauern mögen. Sein Anspruch ist der eines Psychologen, es geht ihm vor allem darum, mehr über den Menschen und sein Verhalten herauszufinden. Eine wichtige Feststellung Herzogs ist, dass emotionale Entscheidungen im Mensch-Tier-Verhältnis oftmals nicht rationaler Überprüfung standhalten. Dies gilt gleichsam für Tierschützer wie für Befürworter der Massentierhaltung oder von Tierversuchen. Diese Einsicht könnte es uns ermöglichen, unsere eigenen Einstellungen und Argumente zu Tierschutz und Tierhaltung zu überprüfen, zu schärfen und eventuell andere Prioritäten zu setzen, vielleicht sogar Kompromisse zu schließen. Auf jeden Fall ist sein Buch geeignet, frischen Wind in manche festgefahrene Debatte zu bringen.

 

Fazit

Ein anregendes Buch für alle, die sich der Mensch-Tier-Beziehung von der wissenschaftlichen Seite nähern wollen.

 

Weiterführende Links

Wer mehr über die Anthrozoologie wissen möchte, wird natürlich auch im Internet fündig. Die wichtigsten Quellen sind die International Society for Anthrozoology (www.isaz.net), die die regelmäßig erscheinende Zeitung „Anthrozoös“ herausgibt, das Animal & Society Institute (www.animalsandsociety.org) und www.anthrozoology.org. Hal Herzog betreibt außerdem einen Blog, in dem er viele seiner im Buch dargestellten Themen aufgreift und diskutiert: www.psychologytoday.com/blog/animals-and-us. Unbehagen bereitet der Umstand, dass die einschlägigen Webseiten zur Anthrozoologie zumindest auch von der Tierfuttermittelindustrie (Nestlé Purina: www.isaz.net und Mars: www.anthrozoology.org) gefördert werden. Hier liegt natürlich der Verdacht nahe, dass die Forschung vor allem dazu dienen könnte, herauszufinden, wie man Tierhaltern am Besten Futter verkauft. Doch die Strategien zu kennen, bedeutet auch, sich dagegen wappnen zu können.

 

Dr. iur. Ricarda Dill

Heilpraktikerin, Tierheilpraktikerin

www.tierheilkunde-owl.de

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