Seminarzentrum für Tiergesundheit in Ostwestfalen-Lippe





Warum meine Pferde keine Leckerli bekommen

Die beste Belohnung fürs Pferd ist eine Pause

Autor: Ricarda Dill | Datum: 21.11.2017

Ich füttere meine Pferde grundsätzlich nicht aus der Hand und geben ihnen niemals Leckerli. Warum?


  1. Es gibt im natürlichen Verhalten des Pferdes keine Situation, in der ein Pferde dem anderen Futter bringt (anders bei Hund oder Katze).
  2. Macht ein Pferd dem anderen den Platz an der Futterstelle frei, heißt es: Du darfst das haben, ich bin jetzt mal weg. Wenn ich mit dem Pferd arbeite, möchte ich das Signal senden: Hallo, ich bin hier, wir wollen was zusammen machen. Jetzt gibt es kein Futter, jetzt ist nicht Pause, sei bitte aufmerksam, ich bin es auch. Futter gibt es, wenn die Arbeit vorbei ist, und wenn ich meine eigene Aufmerksamkeit auf etwas Neues richte und vom Pferd abwende. Genauso ist es für das Pferd. 
  3. Pferde, die sehr futtergierig sind, realisieren oft nicht, was sie tun, um an das Leckerli zu gelangen. Beispiel: Das Pferd, das willig der Möhre in den Hänger folgt, kann sich zu Tode erschrecken, wenn das Futter weg ist. Es ist nur dem Futter gefolgt, hat die Umgebung und seinen Menschen ausgeblendet und hat keine Ahnung, wie es da hineingekommen ist. Ähnlich verhält es sich beim Satteln oder Stillstehen "gegen Bezahlung". Futter sichert nicht das mentale und körperliche Einverständnis des Pferdes mit dem Geschehen. Dieses brauche ich aber, um langfristig Vertrauen aufzubauen. "Kaufen mit Leckerli" heißt vom Pferd aus gesehen: "Ich habe keine Ahnung, was Du da tust und sehe auch keinen Sinn darin, aber da es Futter gibt, ist mir das egal". Ich möchte, dass mein Pferd Sinn in dem erkennt, was ich will oder fordere oder mit ihm unternehme. Ich will wissen, ob es einverstanden ist, ob es zweifelt, ob es fragt oder ob es lieber weglaufen möchte. Ich will, dass es auf die Umwelt (also auch mich) fokussiert bleibt und mich nicht ausblendet. Es soll verstehen, was es tut und ein Gefühl für seinen Körper und insbesondere dafür bekommen, was seine Füße machen. Wenn mein Pferd Dinge nicht tut, von denen ich mir wünsche, dass es sie täte, nehme ich mir selbst die Möglichkeit, zu verstehen, wo es "hängt" und kann nicht mit dem Pferd gemeinsam an der Lösung des eigentlichen Problems arbeiten.
  4. Ich kann Pferde mit Leckerli auf bestimmte Handlungen dressieren. Ich installiere damit einen "Schalter", mit dem ich später ein gewünschtes Verhalten oder eine Bewegungsfolge abrufen kann. Ich wünsche mir aber, dass mein Pferd in Aufmerksamkeit für mich und die Umwelt versteht, was es tut, einen Sinn in dem sieht, was es tut, und nicht reproduzierbare Abläufe abspeichert. Die Bandbreite von Bewegung und Verhalten ist viel breiter als alle "Knöpfe", die ich vorab programmieren kann. Wenn ich ein Pferd ausbilde, möchte ich es grundsätzlich in der Entfaltung einer großen Bandbreite von Verhaltens- und Bewegungsformen unterstützen. Ich suche danach, dem Pferd Sinn in dem was es tut zu vermitteln.
  5. Mit Leckerli fokussiere ich die Pferde auf meine Hand als Signalgeber. Sie werden immer versuchen, in meine Nähe zu kommen, um an das Futter zu gelangen. In der Ausbildung möchte ich jedoch, dass das Pferd alle meine Signale, meine Körpersprache, aber auch die Umwelt wahrnimmt und interpretiert. Dazu kann auch gehören, dass ich signalisiere: "bleib stehen", "geh weg". Ggf. möchte ich es auch einmal aus der Ferne bewegen.
  6. Mit Leckerli erziehe ich Pferde zu Unhöflichkeit und Distanzlosigkeit. Ihr alle kennt das Verhalten der Pferde, die Eure Taschen nach Futter absuchen. Wie oft habt Ihr schon gesehen, dass das Pferd, dem dieses vermeintlich niedliche Verhalten systematisch beigebracht wurde, mit einem Schlag an den Kopf gemaßregelt wird, weil es seinen Menschen gezwickt oder die Kleidung zerstört hat? Wie soll das Pferd diesen Widerspruch auflösen? Ich möchte, dass mein Pferd weiß, dass das Belecken und Beknabbern von Menschen unerwünscht ist, also bringe ich ihm dieses Verhalten gar nicht erst bei.

Ja, wie belohne ich denn dann mein Pferd? Indem ich es liebhabe: Ich lobe es, zB. mit Worten, mit Streicheln, mit Entspannung. Aber das wichtigste Lob ist die Pause im Sinne der Druckentlastung: Ich gebe dem Pferd Zeit zur Entspannung, lasse es ruhen, gebe nach, was auch immer ihm hilft, das Getane positiv zu verarbeiten. 

Ricarda Dill

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